Verbunden Sein – alles und in allem ist Christus
Impuls zum Convenire am 8.9.2024
Wir haben dieses Jahr viel über unsere Sehnsucht nach Verbindung gesprochen. Verbindung, Verbunden Sein ist eines der Hauptanliegen des Konvents.
Wir machen uns Gedanken, wie wir mehr Verbindung schaffen können. Alles unter der Annahme, dass wir nicht genügend verbunden sind. Dahinter steckt die tiefe Sehnsucht nach mehr Verbundenheit.
Ich habe angefangen, ein Buch zu lesen, das Hanna empfohlen hatte mit dem schönen Titel, „wenn wir wieder wahrnehmen“ – wach und spürend den Krisen unserer Zeit begegnen“ von Heike Pourian.
Ein spannendes Buch, allerdings sehr umfangreich und ich bin noch lange nicht durch. Aber was mich gleich zu Anfang sehr angesprochen hat, ist, dass sie davon ausgeht, dass wir vieles, was uns erzählt wird, was wir so gelernt haben, als gegeben hinnehmen. Wir leben mit Narrativen, also Geschichten, die für uns zur Realität geworden sind, einfach weil die Mehrheit unserer Gesellschaft das glaubt und entsprechend lebt.
Eines dieser Narrative ist, dass wir nicht verbunden sind.
Sie schreibt: „Es ist die Geschichte des Getrenntseins. Aber ist unser Leben nicht untrennbar verbunden mit dem Leben der anderen?
Doch unsere Zivilisierte Welt um uns herum suggeriert etwas anderes. Wir lernen von Klein auf, uns zu trennen, zu unterscheiden zwischen ich und du, meins und deins, uns selbst und der Welt da draußen. Es wird uns so lange als normal vorgelebt, bis wir es als normal hinnehmen.“
Als ich dies las, musste ich sofort an die buddhistische Weltsicht denken, die davon ausgeht, dass wir mit allem und jedem verbunden sind, nicht nur mit anderen Menschen, sondern auch mit allen anderen Lebewesen, Tieren und Pflanzen, ja auch mit jeglicher Materie.
Es scheint auch andere Kulturen zu geben, die sich dieser Verbundenheit deutlicher bewusst sind. So ist es in vielen Afrikanischen Sprachen üblich, bei den Begrüßungen nach dem Wohlbefinden der Familie und nicht der Person, die vor mir steht, zu fragen. Das kenne ich auch vom Haussa, der Sprache, die ich im Niger gesprochen habe. Begrüßungen sind dort sehr lang und ausgiebig, man fragt nach der Familie, den Kindern, aber auch nach dem Wetter, der Ernte etc. Wenn man dies als Westeuropäer das erste Mal erlebt, denkt man, was soll denn das, dieses endlose Geplänkel, bevor man zum Eigentlichen kommt.
Aber vielleicht drückt sich in dieser Art der Begrüßung ja genau das Eigentliche aus, nämlich die Verbundenheit mit anderen Menschen und mit der Natur.
Diese Verbundenheit, die wir kaum noch spüren, da wir verinnerlicht haben, dass wir getrennt sind von anderen und für uns selbst sorgen müssen.
Und doch ist da in vielen Menschen, auch in uns diese Sehnsucht nach mehr Verbindung geblieben. Und wir spüren, das, „von allem getrennt zu leben“, uns als auch der Schöpfung nicht guttut.
Aber wie sollte es auch anders gehen? Ich bin doch nicht du, und du nicht ich? Bin ich nicht ein unverwechselbares Individuum? Einmalig in dieser Welt?
Nachdem ich Heike Pourian zitiert und mich auch ein wenig beim Buddhismus angelehnt habe, möchte ich nun auch in die gute alte Bibel schauen, die uns als Christen ja um einiges vertrauter ist.
Auch dort nimmt die Einheit, dass Verbunden Sein einen wichtigen Platz ein.
Dazu 1. Kor. 12, 12-27.
„12 Denn wie der Leib einer ist und hat doch viele Glieder, alle Glieder des Leibes aber, obwohl sie viele sind, doch ein Leib sind: so auch Christus. 13 Denn wir sind durch einen Geist alle zu einem Leib getauft, wir seien Juden oder Griechen, Sklaven oder Freie, und sind alle mit einem Geist getränkt. 14 Denn auch der Leib ist nicht ein Glied, sondern viele. 15 Wenn nun der Fuß spräche: Ich bin keine Hand, darum gehöre ich nicht zum Leib, gehört er deshalb etwa nicht zum Leib? 16 Und wenn das Ohr spräche: Ich bin kein Auge, darum gehöre ich nicht zum Leib!, gehört es deshalb etwa nicht zum Leib? 17 Wenn der ganze Leib Auge wäre, wo bliebe das Gehör? Wenn er ganz Gehör wäre, wo bliebe der Geruch? 18 Nun aber hat Gott die Glieder eingesetzt, ein jedes von ihnen im Leib, so wie er gewollt hat. 19 Wenn aber alle Glieder ein Glied wären, wo bliebe der Leib? 20 Nun aber sind es viele Glieder, aber der Leib ist einer. 21 Das Auge kann nicht sagen zu der Hand: Ich brauche dich nicht; oder wiederum das Haupt zu den Füßen: Ich brauche euch nicht. 22 Vielmehr sind die Glieder des Leibes, die uns schwächer erscheinen, die nötigsten; 23 und die uns weniger ehrbar erscheinen, die um kleiden wir mit besonderer Ehre; und die wenig ansehnlich sind, haben bei uns besonderes Ansehen; 24 denn was an uns ansehnlich ist, bedarf dessen nicht. Aber Gott hat den Leib zusammengefügt und dem geringeren Glied höhere Ehre gegeben, 25 auf dass im Leib keine Spaltung sei, sondern die Glieder einträchtig füreinander sorgen. 26 Und wenn ein Glied leidet, so leiden alle Glieder mit, und wenn ein Glied geehrt wird, so freuen sich alle Glieder mit. 27 Ihr aber seid der Leib Christi und jeder Einzelne ein Glied.“
Leidet ein Glied so leiden alle mit. Wird ein Glied geehrt, so freuen sich alle mit.
Ich finde es bemerkenswert, dass da nicht steht, bemüht euch ein Leib zu werden, tut dies oder das, damit ihr ein Leib werdet.
Nein, da steht: ihr SEID ein Leib! Und alle Glieder sind miteinander verbunden. Das heißt, wenn ein Glied leidet, leiden alle mit. Das ist so, auch wenn wir es nicht wahrhaben wollen und es ausblenden. Das Leid einzelner hat Auswirkungen auf die Gemeinschaft.
Gleichzeitig hat aber auch der Erfolg eines Gliedes Auswirkungen auf alle anderen. Wie wohltuend, dies nicht auszublenden, nicht in Konkurrenz zu gehen, sondern uns mitzufreuen. Wie wohltuend anzuerkennen, dass wir verbunden sind.
Doch der Glaube, dass wir getrennt sind von anderen, sitzt leider ganz tief.
Und an diesem Narrativ des Getrenntseins, ist auch die Christenheit beteiligt, eben weil sie bestimmte Narrative der Bibel hervorhebt und andere ignoriert.
Dazu möchte ich mich auf ein äußerst spannendes Buch von Richard Rohr beziehen: „The Universal Christ“
Hier erläutert er anhand vieler Bibelstellen, die man oftmals überliest, wie Christus, also der Auferstandene Jesus, die Manifestation Gottes Liebe für diese Schöpfung ist und sich in jedem und allem offenbart. Das ist ganz schön revolutionär. Christus in allem, in dir und mir, in der Natur, in allen Geschöpfen.
In Kol 3, 11 steht z.B. „Da gilt nicht mehr Griesche und Jude, Beschnittener und Unbeschnittener, Barbar, Skythe, Knecht oder Freier, sondern alles und in allem ist Christus.“
alles und in allem ist Christus
Das muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen!
Im Brief an die Römer schreibt Paulus, dass Gottes unsichtbares Wesen seit der Erschaffung der Welt im Geschaffenen zu sehen und zu erkennen ist.
Paulus der Jude wird nach seiner Begegnung mit dem Auferstandenen Christus zum Botschafter der guten Nachricht für alle Nationen. Er weitet seinen Blick über die kleine Gruppe der Juden hinaus, hin zur Welt-Gemeinschaft. Er ändert seinen Namen von Saulus zu Paulus, dieser römischen Form, als Ausdruck seiner Verbundenheit mit den Menschen außerhalb der jüdischen Gemeinde.
Aber auch in der Christenheit folgen wir seit Jahrhunderten bestimmten Narrativen, die Getrenntsein anstatt Einheit verkünden. Wir organisieren uns in Gruppen, nach Ethnien, Nationen und natürlich auch in Religionsgemeinschaften, gerne betonen wir unsere Besonderheiten, dass wir richtig und die anderen falsch liegen. Wir schließen uns zwar Gemeinden an, bleiben aber immer auch sehr individuell für uns.
So sprechen wir von unserer persönlichen Beziehung zu Gott als „ich und mein Gott“, Gott hat „mir“ gezeigt, etc.
Wir alle kennen das und viele von uns haben diese Mauern zwischen uns satt und vielleicht sind wir aus genau diesem Grund hier in der Refo und folgen dem Motto „Einheit in Vielfalt“ und „nachhaltig Beziehung leben“.
Richard Rohr weist darauf hin, dass sich Christus und damit Gott, in jedem Menschen offenbart, aber auch in allen anderen Lebewesen, eben in der Schöpfung als Ganzes. Deshalb spricht er von dem Universellen Christus. Christus, der alles in diesem Universum miteinander verbindet.
Das heißt auch, dass sich gerade um mich herum, also konkret hier in diesem Kreis, Gottes Vielfalt manifestiert.
Im Johannes Evangelium im 17. Kapitel wird viel von „Gott in uns“ und von „wir in Gott“ gesprochen. Das klingt vielleicht anmaßend, aber es steht da geschrieben. Gleich im ersten Buch Mose steht, dass Gott uns schuf nach seinem Bilde. Auch das überlesen wir gerne. Aber Tatsache ist, dass wir im Anderen Gott erkennen können.
Wir leben also in Christus und Christus in uns und wir sind durch Christus miteinander verbunden. Und das bezieht sich sicherlich nicht nur auf die Menschen, die meinen christlichen Glauben teilen.
„Da gilt nicht mehr Grieche und Jude, Beschnittener und Unbeschnittener, Barbar, Skythe, Knecht oder Freier, sondern alles und in allem ist Christus“
Die Frage stellt sich dann natürlich, was nützt mir dieses Wissen in meinem alltäglichen Leben? Wie kann ich das umsetzen?
Richard Rohr schreibt deutlich, dass es nicht durch intellektuelle Übungen geschehen wird, sondern vielmehr durch ein „mehr wahrnehmen“, in Resonanz mit anderen gehen, in Beziehung treten etc. und auch Heike Pourian schreibt, dass wir uns nicht um Verbundenheit bemühen müssen oder sie angestrengt herstellen. Für sie reicht es, wenn wir aufhören zu leugnen, dass Verbundenheit der Grundzustand allen Lebens ist.
Wir werden uns später dem Thema „den Stuhl freihalten“, unserem Synonym für Gott einen Platz freihalten, widmen. Dabei geht es genau um die Frage, wie wir Gott in unseren Aktivitäten deutlicher Raum geben. Vielleicht geschieht das genau dann, wenn wir bereit sind, Christus im Anderen wahrzunehmen und ihm zu erlauben, so da zu sein.
Es geht darum, uns dessen, was ist, nämlich dieser Verbindung, bewusst zu werden und Bewusstmachen hat viel mit Wahrnehmen zu tun.
Dieses Wahrnehmen unseres Verbunden Seins wird unweigerlich Auswirkungen haben.
Richard Rohr geht sehr detailliert auf die Bedeutung der Liebe ein. Gott, der reine Liebe ist, Liebe als Urzustand der Schöpfung, Liebe als die Sprache, die alle Menschen verstehen.
Wiligis Jäger, Benediktiner Mönch und Gründer des Benediktus Hofs schreibt in seinem letztes Buch mit dem Titel „Jenseits von Gott“ :
„Am Ende steht nur die Erfahrung dieses einen Augenblickes, der Durchbruch zum wirklichen Leben und zur Liebe. Weil ich mich mit allem verbunden erfahre, ist da nur Liebe. Ich erkenne im anderen mich selbst. Diese Liebe kommt nicht aus einem „Du sollst deinen Nächsten lieben“, sie kommt aus der Erfahrung der Einheit. Wir sind zuerst ein gewaltiges Netz – und dann erst einzelne Maschen. In dieser Erfahrung liegt die Zukunft unserer Spezies. Sie wird uns aus der Egozentrik, in der wir einander Schaden zufügen, herausführen und uns ein neues Verständnis unseres Menschseins bringen. Es geht um den Einzug der Liebe in unsere menschliche Gesellschaft, weg von Machtgier, Besitzanhäufung, Gewalt und Angst. Nur diese universale Liebe wird die Weiterentwicklung der Menschheit voranbringen. Liebe ist die Grundstruktur des Universums, sie ist der Baum, der viele Äste treibt. All diese Äste bleiben der eine Baum, aus dem sie hervorkommen. Aber der Baum ist ihr Ursprung und formt sie zur Einheit. Die Liebe, von der hier die Rede ist, meint eine Ebene der Verbundenheit, auf der es kein „Ich liebe dich und du liebst mich“ mehr gibt, sondern nur eine Ebene der Einheit mit allem und jedem. Liebe ist die einzige Sprache, die alle Menschen und alle Wesen verstehen.“
Ich glaube da gibt es diese Wechselwirkung zwischen dem Wahrnehmen der Einheit aller Geschöpfe und der Liebe diesen Geschöpfen gegenüber. Indem wir Wahrnehmung üben, üben wir auch Liebe. Indem wir Liebe üben, üben wir wahrzunehmen.
Als ich neulich mit meiner geistlichen Begleiterin darüber sprach, sagte sie, dass sie es sich zur Gewohnheit gemacht hat, jeden Abend kurz den Tag Revue passieren zulassen und sich zu fragen, wo und wie ist mir heute Gott begegnet, in wem oder in was habe ich sie wahrgenommen?
Ich finde das eine sehr gute Idee und werde versuche, es mal auszuprobieren. Es gibt sicherlich noch andere ganz praktische Ideen und ich möchte uns ermutigen darüber auszutauschen und ins Gespräch zu kommen.
Marlies Reulecke